Sanktionen gegen Russland: Der Oligarch, den die EU verschont
Die Europäische Union hat im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine in den vergangenen Wochen 675 Personen auf eine Sanktionsliste gesetzt, darunter zahlreiche Oligarchen. Sie müssen nun befürchten, dass ihre Bankkonten eingefroren und ihre Besitztümer zumindest vorübergehend beschlagnahmt werden.
Doch ausgerechnet ein Name fehlt auf der Liste: Oleg Deripaska - ein russischer Milliardär, der sein Geld vor allem mit Aluminiumwerken verdient hat. Laut dem Russland-Experten Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik war Deripaska in den vergangenen Jahren auch teilweise in die Außenpolitik des Kreml eingebunden. „Er war ein integraler Bestandteil des Systems Putin“, so Kluge. Deripaska selbst hat in der Vergangenheit eine besondere Nähe zu Putin immer abgestritten.
In Brüssel ist der Name Deripaska ein Begriff. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Kontraste und der Wochenzeitung „Die Zeit“ stand er kurz nach Kriegsbeginn noch auf einem Entwurf für die Sanktionsliste der EU. Zwei Quellen aus unterschiedlichen EU-Ländern bestätigen dies unabhängig voneinander. Dann allerdings muss ihn jemand von der Liste gestrichen haben.
Panzer für Putins Krieg
Es ist ein brisanter Vorgang, der in Diplomatenkreisen für Erstaunen sorgt. Denn Deripaska ist Großaktionär von GAZ - einem russischen Automobilhersteller, bei dem unter anderem VW noch bis vor wenigen Tagen produzieren ließ. Zugleich ist GAZ auch ein Rüstungskonzern mit langer Geschichte.
Sein Radschützenpanzer „BTR-80“ und dessen Nachfolger sind Standardfahrzeuge der russischen Infanterie und kommen im Krieg gegen die Ukraine zum Einsatz, genauso wie gepanzerte Geländewagen des Typs „Tigr“. Der Militärexperte Gustav Gressel bezeichnet GAZ als das Rückgrat der russischen Armee, GAZ warte die Fahrzeuge. „Natürlich verdient Deripaska da mit und ist mit seiner Firma auch eine Stütze dieses Krieges.“
Schon seit 2018 steht er auf einer US-Sanktionsliste. Am Donnerstagmorgen sanktionierte ihn auch Großbritannien. In der schriftlichen Begründung aus London heißt es, Deripaska habe als Geschäftsmann vom Kreml profitiert und stehe in enger Verbindung mit Akteuren, welche die Unabhängigkeit der Ukraine gefährden. Auf einer erweiterten Sanktionsliste der EU, die am Mittwochabend publik wurde, fehlt sein Name erneut.
Wer strich Deripaska von der EU-Liste?
„Es ist ein Rätsel, wie er von der Liste verschwunden ist“, sagt ein ranghoher EU-Diplomat zu Kontraste. Die EU-Kommission will sich zum dem Fall nicht äußern, die Beratungen seien vertraulich. „Alle Entscheidungen über die Verhängung neuer Sanktionen werden von den Mitgliedstaaten im Rat einstimmig getroffen“, schreibt ein Sprecher auf Anfrage. Offenbar gibt es also mindestens ein Land, das seine Hand bislang schützend über Deripaska hält.
Weder das deutsche, noch andere europäische Außenministerien wollten dazu Auskunft geben. Die Regierung in Wien betont, man dürfe zur Entstehung der Sanktionsliste gar nichts sagen. „Österreich unterstützt diese und auch allfällige weitere voll und ganz.“
In der Alpenrepublik ist Deripaska bestens vernetzt. Über eine russische Holding-Gesellschaft ist er an fast einem Drittel der Strabag beteiligt - dem wichtigsten Baukonzern des Landes. In Lech am Arlberg, wo er gerne Urlaub macht, baute er sich ein eigenes Luxushotel: das Aurelio. Laut dem Magazin Forbes investierte Deripaska in dem Skiort 30 Millionen Dollar.
Nach Kontraste-Recherchen gehört das Aurelio inzwischen Deripaskas Cousin - über ein verschachteltes Geflecht aus sechs österreichischen, zypriotischen und russischen Holding-Gesellschaften.
Profiteur des russischen Staatskapitalismus
Der SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Fiedler fordert Konsequenzen: „Menschen wie Oleg Deripaska, die dieses System am Laufen gehalten haben und erst recht, wenn sie jetzt an diesen kriegerischen Auseinandersetzungen, die Putin angezettelt hat, beteiligt sind oder davon profitieren sollten, gehören zwingend mit auf die Sanktionsliste“, sagt der ehemalige Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamten im Interview.
Deutschland soll Deripaska nun für Sanktionen vorgeschlagen haben. Das berichtete ein hochrangiger EU-Diplomat Kontraste. Der Oligarch selbst ließ eine Anfrage unbeantwortet. Vergangene Woche äußerte er sich jedoch öffentlich auf seinem Telegram-Kanal - er schrieb: „Es ist notwendig, diesen ganzen Staatskapitalismus zu beenden.“ Deripaska kritisierte damit denselben Staatskapitalismus, der Oligarchen wie ihn zu Milliardären gemacht hatte. Am Morgen darauf war eine russische Panzerkolonne auf dem Weg nach Kiew.