Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg: Nazi-Poesie im Namen des AfD-Politikers Kotré aufgetaucht
„Rühre, wie die Trommel, unser nordisch' Blut“, heißt es in einem der Gedichte, als deren Autor Steffen Kotré angegeben wird, „singe uns das völkisch' Lied, oh Geist, Du siegender“ und „schmelze ein das schwarze Eisen in der weißen Glut“. Zeilen wie diese finden sich in rund einem Dutzend Gedichte, die nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Kontraste ab 2001 im Netz verbreitet wurden. Im Fall der Website einer Gruppe namens „Deutschherrenklub“ erschienen die Texte sogar in einer eigenen Rubrik mit dem Titel „Kotrés Welt“. Sie behandeln die Farben der Reichsflagge („Schwarz-Rot-Weiß“) und die Romantik der „Brüder auf Fahrt“.
Es handele sich dabei um „rechtsextreme Texte“, die in ihrem Stil an „ältere Blut-und-Boden-Gedichte aus der völkischen Bewegung seit dem Kaiserreich“ angelehnt seien, urteilt Gideon Botsch, Leiter der Forschungsstelle für Antisemitismus und Rechtsextremismus des Moses Mendelssohn Zentrums an der Universität Potsdam. „Texte wie die auf 'Kotrés Welt' findet man eher in den Liederbüchern der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend oder anderer rechtsextremer Jugendverbände“, so Botsch. Eines der Gedichte bejubele etwa die mörderische Gewalt der Freikorps und deren Kampf gegen die Weimarer Republik. Botsch zufolge verherrlicht der Verfasser immer wieder „Kampf, Krieg und Gewalt“.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hielt Inhalte des „Deutschherrenklubs“ für „NS-Staat verherrlichende Ideologie“ sowie antisemitisch. Sie indizierte die Website 2004 in deren damaliger Form. Auch „Kotrés Welt“ ging dadurch offline.
Stammten die Verse aus der Feder des heutigen Abgeordneten Steffen Kotré? Noch heute wird jemand mit diesem Namen auf einer nach der Indizierung neu erstellten Website des „Deutschherrenklubs“ „brüderlich gegrüßt“. Mehrere Anfragen an das Bundestagsbüro des AfD-Politikers hierzu blieben unbeantwortet.
Geheimbund mit "Arierfarben“
Der „Deutschherrenklub“ scheint sich selbst für eine Art Geheimbund zu halten. Sein Wappen schmücken die angeblichen "Arierfarben“ Blau und Gold, laut Selbstbeschreibung fühlt man sich dem „ewigen Stande der Deutschheit verpflichtet“. Der Vorsitzender der Gruppe Andreas V. hatte Anfang der Neunziger-Jahre schon die „Kreuzritter für Deutschland“ gegründet – eine Organisation, die laut damaliger Einschätzung des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg zu einem erheblichen Teil aus Angehörigen der rechtsextremistischen Skinheadszene bestand.
Die „Kreuzritter für Deutschland“ hatten enge Verbindungen zum „Blood and Honour“-Netzwerk, wie aus dem Abschlussbericht des zweiten baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses hervorgeht. Das Bundesinnenministerium hat „Blood and Honour“ inzwischen verboten. Nach einer mehrjährigen Gefängnisstrafe baute der „Kreuzritter“-Chef im Jahr 2000 schließlich den „Deutschherrenklub“ auf.
Auf seiner persönlichen Website veröffentlichte Andreas V. ein Gedicht über Soldaten, die Krieg an einer Ostfront führen. Als Autor nannte er „Steffen K.“. Weil Kotré zu diesem Thema schweigt, bleibt offen, inwiefern er Andreas V. kannte.
Belegt sind indes Kotrés Verbindungen zu Manuel Ochsenreiter. Der 2021 in Moskau verstorbene pro-russische Netzwerker und Publizist war laut Website des „Deutschherrenklubs“ als eine von fünf Personen an der Gründung der Gruppe beteiligt und Beisitzer im Vorstand. Ochsenreiter unterhielt später enge Kontakte in die AfD. Mehrfach organisierte und begleitete er Reisen von AfD-Politikern in Konfliktzonen. Eine der ersten dieser Reisen führte 2015 nach Bergkarabach. Dabei war auch Steffen Kotré – damals noch Referent der AfD-Fraktion im brandenburgischen Landtag.
Zugesandte Zeilen an die Junge Landsmannschaft
Ein weiteres Gedicht, das den AfD-Bundestagsabgeordneten in Bedrängnis bringen könnte, erschien auf der Website von „Fritz“ – der Zeitung der damaligen „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ (JLO). „Hier einige uns zugesandte Zeilen von Steffen Kotré“, hieß es in dem Beitrag vom 19. April 2004. Der Text mit dem Titel „Deutscher Osten“ beklagt angebliches Unrecht, das erst ans Licht müsse, und dass dem „Vaterlande“ „viel verloren“ gegangen sei. „Die Grenzen, in denen deutsche Landen sich vereint, sind gestutzt von Hand des Weltkriegs Siegermeute. Es blieben Gaue vor dem Feind als dessen fette Siegesbeute.“
Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Gideon Botsch hat der Verfasser damit revisionistische Ansprüche formuliert, die „verlorenen“ Ostgebiete „heim ins Reich“ zu holen. Diese und andere Parolen stehen laut Botsch in der Tradition der „gebietsrevisionistischen Volkstumspolitik, die die Nationalsozialisten und ihre politischen Vorläufer seit den 1920ern verfolgten“.
Die JLO hat sich seither umbenannt in „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“. In Dresden organisierte sie mehrere Neonazi-Aufmärsche anlässlich des Jahrestags der Bombardierung von Dresden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält die Organisation für rechtsextrem.
Unvereinbar mit AfD-Mitgliedschaft
Autor bei „Fritz“ war Anfang der Nuller-Jahre auch Andreas Kalbitz, der später Vorsitzender des AfD-Landesverbandes Brandenburg wurde. Die Partei hat ihn mittlerweile ausgeschlossen. Kalbitz soll der AfD in seinem Mitgliedsantrag verschwiegen haben, dass er in der Vergangenheit auch Mitglied der Republikaner gewesen war. Ihm wurde zudem vorgeworfen, eine Mitgliedschaft bei der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) verheimlicht zu haben. Kalbitz stritt eine solche Mitgliedschaft ab.
Die rechtsextreme HDJ steht auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Aber auch die JLO steht auf dieser Liste. Die Verbandszeitung „Fritz“, die das angeblich zugesendete Kotré-Gedicht ins Netz stellte, richtete sich schon im Vorwort an die „lieben Mitglieder, Förderer und Freunde“ der JLO.
Das Nachrichtenportal t-online berichtete kürzlich, dass Kotré im Jahr 2004 als Unterzeichner einer Solidaritätsbekundung für den inhaftierten Holocaust-Leugner Horst Mahler in Erscheinung getreten sei. Kotrés AfD-Landesverband wird bereits seit 2020 vom brandenburgischen Landesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.