AfD-Austritt nach Chats: Huber-Äußerungen „offen antisemitisch“
Die Behauptungen sind abenteuerlich. Johannes Huber, Mitglied des Deutschen Bundestags, schreibt: Die EU-Kommission werde nicht gewählt, sondern von George Soros ausgewählt. Der jüdische Milliardär sei ein „Rothschild-Agent“. „Rothschild-Lobbyisten“ wollten Steuergeld zu Banken „umleiten“. Die Rothschilds sind eine alte jüdische Bankiersfamilie und seit Jahrhunderten Objekt von Verschwörungsmythen. Johannes Huber ist noch Politiker der AfD – hat aber inzwischen laut „Spiegel“-Informationen seinen Parteiaustritt verkündet.
Die Nachrichten stammen aus seiner eigenen Gruppe beim Messengerdienst Telegram, einst gegründet, um den Wahlkampf der Partei in Oberbayern zu koordinieren. Nur AfD-Mitglieder sollen der Gruppe angehören. Dem ARD-Politikmagazin Kontraste wurde nun der gesamte Chatverlauf zugespielt – etwa 31.000 Nachrichten seit 2018.
Mehr als 4000 davon verfasste Huber selbst. Sie verraten, wie er sich äußert, wenn er sich unter Gleichgesinnten wähnt. Hier plaudert er aus, wenn er einen Artikel über eine Klimaaktivistin auf einer Nachrichtenwebsite kommentiert und sich dabei hinter dem Pseudonym „Gender-Gaga“ versteckt. Es ist ein Ort, an dem er den deutschen Bundestag eine „psychiatrische Einrichtung“ nennt und einen Fußballnationalspieler mit Migrationsgeschichte scherzend einen „Mohr“.
In diesem Umfeld warnte Huber vor „Globalisten“ – einem Begriff, der auch als antisemitisches Codewort bekannt ist. Diese „Globalisten“, schrieb der AfD-Politiker, wollten, „dass wir uns ohnmächtig fühlen“. Als jemand ein Video des Verschwörungsideologen Ken Jebsen verlinkt, antwortete Huber, man müsse die Leute dort abholen, wo sie stünden. „Das normale Schlafschaf da draußen kann mit Begriffen wie 'NWO' einfach nichts anfangen.“ Die Abkürzung „NWO“ steht für den Verschwörungsmythos einer „Neuen Weltordnung“, wonach eine Elite im Verborgenen darauf hinarbeitet, die Menschheit zu unterwerfen.
Antisemitische und rechtsextreme Verschwörungsnarrative
Die Äußerungen des AfD-Politikers Huber „enthalten eine Reihe von Signal-Wörtern, die in den konkreten Verwendungszusammenhängen eindeutig auf antisemitische und rechtsextreme Verschwörungsnarrative verweisen“ – zu dieser Einschätzung kommt Gideon Botsch, Leiter der Forschungsstelle für Antisemitismus und Rechtsextremismus des Moses Mendelssohn Zentrums an der Universität Potsdam. Für „eindeutig und offen antisemitisch“ hält Botsch zudem eine Aussage Hubers, wonach der Zentralrat der Juden „Politik gegen die Interessen des Volkes“ mache.
Eine Anfrage von Kontraste lässt Huber durch eine Kölner Anwaltskanzlei beantworten, aber auch diese äußert sich nicht zu allen Punkten. Sie schreibt, einige seiner Aussagen seien „pointiert-überspitzt“ gewesen. Er habe nicht tatsächlich gemeint, dass Soros über die EU-Kommission bestimme. Die „Kritik“ des Noch-AfD-Politikers an dem Holocaust-Überlebenden ziele auch nicht auf dessen Religion ab, sondern auf den Einfluss von Soros' Organisationen auf politische Debatten.
Auch eine antisemitische Bedeutung des Begriffs „Globalismus“ sei Huber „nicht bekannt“. Sein Anwalt schreibt, er gehe vom Begriffsverständnis nach Wikipedia aus: In der Online-Enzyklopädie heißt es, Globalismus bedeute, dass Nationalstaaten durch die Globalisierung an Bedeutung verlieren, während Akteure wie Firmen an Bedeutung gewinnen. Empfohlen wird bei Wikipedia dann allerdings auch die Analyse eines Extremismusforschers, laut der „Globalismus“ ein von Rechtsextremisten international verstandener Code ist – in enger Verwandtschaft mit der „NWO“.
Bio-Burger mit Attila Hildmann
Ein prominenter Anhänger solcher antisemitischer Verschwörungsmythen ist der Kochbuchautor und Rechtsextremist Attila Hildmann. Vor rund einem Jahr setzte er sich ins Ausland ab, seither wird er mit einem Haftbefehl gesucht – unter anderem wegen Volksverhetzung.
Kontraste konnte rekonstruieren, wie der AfD-Politiker Huber mit Hildmann im Mai 2020 zusammenarbeitete, um beim Bundestag eine Petition gegen die Corona-Maßnahmen einzureichen. Huber war zu dieser Zeit Obmann seiner Fraktion im Petitionsausschuss. Die beiden Männer trafen sich damals in Hildmanns Restaurant in Berlin.
Sie hätten zusammen Bio-Burger gegessen, sagt Hildmann im Gespräch mit Kontraste. „Ich bin der Coronaleugner Nummer eins – da hat die AfD natürlich gesagt: Wir haben eine ähnliche Position, was diese Impfungen und Maßnahmen betrifft. Also hat mir Herr Huber zu dem Zeitpunkt geholfen.“ Über das Treffen mit Hildmann, das laut Darstellung des Kölner Anwalts einmalig blieb und nicht geplant war, schrieb Huber später in seiner Telegram-Gruppe: „Er hat für uns eine Petition eingereicht. Nebenbei haben wir unseren gegenseitigen Wissensstand ausgetauscht.“
Wie die Einreichung dieser Petition abgelaufen sein könnte, lässt eine E-Mail an Hildmann vom 13. Mai 2020 erahnen. Auch sie liegt Kontraste vor. Sie stammt aus einem Datensatz, den das Hackerkollektiv „Anonymous“ der Redaktion zu Verfügung gestellt hat. Unterstützung bei der technischen Aufbereitung kam vom Journalismus-Netzwerk OCCRP.
Der Betreff der E-Mail lautet „Info für dich ;-)“. Absender ist Hubers Referent Tobias Teich. Metadaten deuten darauf hin, dass Teich den Inhalt der E-Mail anscheinend an seinem Bundestagscomputer zusammengestellt hat. Ein mitgeschickter Screenshot der Petitionseinreichung zeigt, wie jemand mit Hildmanns Name im Petitionssystem des Bundestags angemeldet ist – auch dies offenbar an einem Computer des Bundestags. „Hat alles geklappt“, schreibt Teich dem Rechtsextremisten.
Herz am rechten Fleck
Hubers Anwalt teilt mit, weder der Bundestagsabgeordnete, noch sein Referent hätten die Petition „im Namen“ von Hildmann eingereicht oder sie gar verfasst. Dass die Petition in wesentlichen Teilen aus zusammenkopierten Textpassagen besteht, welche die AfD-Fraktion zuvor im Netz veröffentlicht hat, ändere nichts an der Urheberschaft des Einreichenden. Weiter schreibt Hubers Anwalt, der Kontakt zwischen den beiden Männern bestehe heute nicht mehr. Er falle in eine Zeit, in der Hildmann weder der Öffentlichkeit, noch dem Parlamentarier „als radikaler Verschwörungstheoretiker“ bekannt gewesen sei.
Johannes Huber über Attila Hildmann auf Telegram (Bild: Screenshot Kontraste)
Tatsächlich äußerte sich Hildmann schon vor der Einreichung der Petition am 13. Mai 2020 einschlägig. Huber hätte dies wissen können. In seinem öffentlichen Telegram-Kanal kündigte Hildmann bereits Anfang Mai 2020 an, er werde „in den Untergrund“ gehen und „eine Armee aufbauen“, sollte die Demokratie abgeschafft werden und ein globaler „Polizeistaat wie die NWO“ errichtet werden. Die Berliner Staatsanwaltschaft thematisierte diese Aussagen auch in ihrem später erlassenen Haftbefehl.
Wenige Tage nach der Petitionseinreichung teilte Huber in Parteikreisen zudem selbst die Aufnahme einer Ansprache, die Hildmann vor dem Reichstagsgebäude gehalten hatte. Darin behauptete Hildmann, es gebe düstere Pläne, die Weltbevölkerung drastisch zu reduzieren – das Ziel sei eine „globale Elite“. „Hier meiner Meinung nach die Hauptrede von gestern“, kommentierte Huber dies auf Telegram.
Sein Anwalt schreibt nun auf Anfrage: „Mit seinem heutigen Wissensstand würde unser Mandant keine Beiträge von Herrn Hildmann teilen.“ Abgesehen vom Inhalt der Petition teile Huber Hildmanns Positionen und Haltungen nicht. Er habe sie auch gar nicht gekannt, als er Hildmanns Rede verschickt habe. Anscheinend auch noch nicht einige Wochen später am 7. Juni 2020. Damals schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete über den Rechtsextremisten in seine Chatgruppe: „Der Attila hat das Herz am rechten Fleck.“