Reconquista Germanica: Wie deutsche Rechte im Internet die Öffentlichkeit manipulieren wollen

Rechte Aktivisten organisieren sich auf einem Chat-Server, der eigentlich für Computerspieler gedacht ist. Von dort aus verbreiten sie Propaganda in den sozialen Medien. Die Badische Zeitung hat sie dabei beobachtet.

Screenshot einer Nachricht bei Reconquista Germanica
Screenshot einer Nachricht bei Reconquista Germanica (Bild: Screenshot Badische Zeitung)

Der „Widerstand“ trifft sich an einem Sonntag in der „Haupthalle“. So nennen die Mitglieder des rechten Netzwerks Reconquista Germanica (RG) den Chat-Raum ihres Servers. Rund 300 sind zu diesem Zeitpunkt online, insgesamt sollen sie weit mehr als 1000 sein. Es ist der 17. September 2017, wenige Tage vor der Bundestagswahl. Ein Mann, den die anderen Max nennen, macht Ansagen in sein Headset-Mikrofon. „Heute finden einige Schlachten im Internet statt. Das ist ein Werkzeug, das es zu nutzen gilt!“

Die Aktivisten sitzen an ihren Schreibtischen und klicken mit der Maus – Daumen runter, Daumen runter. Gerade haben sie einem Wahlwerbespot der Linken bei YouTube hunderte negative Bewertungen verpasst. Jetzt postet einer den nächsten Link, zur CDU. Das soll mögliche Wähler abschrecken. „Wenn man auf ein Video geht und sieht, dass mehr als 50 Prozent der Bewertungen ’Daumen runter’ sind und viele der Kommentare kritisch, guckt man es nicht“, behauptet einer der Teilnehmer. Um den Schaden zu vervielfachen, erstellen die Aktivisten sogenannte Sockenpuppen, also Fake-Accounts. Auch bei Twitter. Durch eine Flut von Propaganda-Posts wollen sie die öffentliche Wahrnehmung manipulieren.

Reconquista Germanica hat ein Leak-Problem

„Lasst niemals irgendwelche Rückschlüsse auf diesen Server kommen“, warnt ein Nutzer. Aber das geht schief. Zum einen, weil ein Unbekannter die Aktion an diesem Septemberabend mitschneidet und die Aufzeichnung im Februar 2018 veröffentlicht. Zum anderen, weil Medien wie die Badische Zeitung Zugang zu ihm erlangen. RG nutzt die Internet-Plattform Discord, die sich vor allem an Computerspieler richtet. Um beizutreten reicht ein Code, den das Netzwerk selbst veröffentlicht hat.

In einem der Kanäle des Servers, der sogenannten „Memwerkstatt“, werden Grafiken gesammelt, die weiterverbreitet werden sollen, sogenannte Memes. Viele sind menschenverachtend. Ein Foto zeigt einen Aufmarsch der Wehrmacht, mit einem Bildbearbeitungsprogramm hat jemand die Hakenkreuze durch das Logo von RG ersetzt.

Die Mitglieder des Servers bekleiden vom Militär bekannte Ränge: Es gibt „Offiziere“ und „Generäle“, auch „Paladine“ – so wurde etwa Hitlers Propagandaminister Goebbels genannt. An der Spitze steht der „Oberbefehlshaber“. Diesen Rang hat sich ein junger Mann verliehen, der sich selbst Nikolai nennt. Ob er wirklich so heißt, ist unklar, kaum etwas ist über ihn bekannt.

Als seinen Herkunftsort gibt er die Stadt Ostrov in der Tschechischen Republik an, er unterhält aber auch ein Spendenkonto bei der Sparkasse Allgäu. Ein Sprecher der Bank teilt auf BZ-Anfrage mit, man nehme das sehr ernst und wolle das Konto prüfen.

Der „Oberbefehlshaber“ ist von YouTube bekannt

In der rechten Szene erlangte Nikolai bei YouTube Bekanntheit. 32000 Nutzer folgen ihm, in Deutschland ist sein Kanal gesperrt. Fünf Jahre lang lud er dort Videos hoch. Das Prinzip war immer das Gleiche: Er, der selbsterklärte Schopenhauer-Fan, erstellte eine Art Dia-Show und predigte sein Weltbild. Zu Beginn verteidigte er Russland gegen den Westen – auch dann noch, als Putin mit Soldaten auf der Krim einfiel. Einmal behauptete er, Deutschland sei eine „Kolonie der USA“, die „deutsche Souveränität“ müsse deshalb oberstes Ziel sein. Eine Verschwörungsfantasie, wie man sie von Reichsbürgern kennt. Als immer mehr Geflüchtete nach Deutschland kamen, wurden seine Videos fremdenfeindlicher.

Im September erstellte er den Discord-Server. „Wenn die Menschen ins Gespräch kommen und gemeinsam an Projekten arbeiten, entsteht ein ganz neuer Geist“, erzählt er einem anderen rechten Blogger.

Junge Männer voller Hass

Die meisten der Mitglieder sind jünger als 30, wie eine interne Umfrage zeigt. Der überwiegende Teil scheint männlich zu sein. Als doch mal eine Frau auftaucht, will ein Nutzer gleich mehr wissen: „Schön, mal eine Patriotin zu sehen! Aus welcher Region von Deutschland kommst du?“

Höherrangige Mitglieder des Servers werden sogenannten „Heeresgruppen“ zugeteilt – ein Begriff, den einst die Wehrmacht prägte. Angeblich hängt die Gruppenzugehörigkeit vom jeweiligen Wohnort des Mitglieds ab. Das solle eine regionale Vernetzung ermöglichen, sagt Nikolai im Video. „Diese anfangs nur virtuelle Klassifikation wird sich später auch in die Außenwelt übertragen.“

„Wie sie über ihre eigene Wichtigkeit sprechen, wäre fast rührend, wenn ihre Motive nicht so widerwärtig wären.“

Christian Stöcker

Christian Stöcker kann sich nicht vorstellen, dass es Reconquista Germanica gelingt, die neurechte Jugendbewegung zu etablieren, für deren Teil sich ihre Mitglieder offenbar halten. Stöcker ist Professor für Digitale Kommunikation an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. „Wie sie über ihre eigene Wichtigkeit sprechen, wäre fast rührend, wenn ihre Motive nicht so widerwärtig wären“, sagt er – und vergleicht die Mechanismen und Motivation der Aktivisten mit denen von Computerspielern. „Diese Leute stecken mittendrin in der westlichen Konsumkultur, haben aber gleichzeitig ein massives Bedürfnis nach rechtem Gedankengut und Hass und Kampf. Das ist ein Problem, das man als Gesellschaft mal adressieren sollte.“

Hetze gegen Journalisten

Als Erster schrieb der Journalist Karsten Schmehl über Reconquista Germanica. Nach dem TV-Duell zwischen Merkel und Schulz berichtete er für das Internetportal Buzzfeed über den vergeblichen Versuch der Aktivisten, den Hashtag „Verräterduell“ in die Twitter-Trends zu bringen. Schmehl macht ihre Methoden öffentlich – und sich selbst damit zur Zielscheibe.

„Solange es bei Online-Belästigung bleibt, sehe ich das relativ gelassen.“

Karsten Schmehl

Eines Morgens stellt er fest: Dutzende Fremde haben seine privaten Fotos bei Instagram kommentiert. Sie beschimpfen ihn, als „Spionsau“ oder als „Lügenpresse“. Etwa einen Monat lang hält die Wut der Aktivisten an. „Wenn man als Journalist Leuten auf die Füße tritt, versuchen sie, einen einzuschüchtern. Aber solange es bei Online-Belästigung bleibt, sehe ich das relativ gelassen“, sagt Schmehl. „Das ist nicht schön, aber es geht vorbei.“ Schlussendlich stellte er seine Profile in den sozialen Netzwerken auf privat, und sperrte die Rechten damit aus.

Der Bundesverfassungsschutz beobachtet Reconquista Germanica nicht

Eine Anfrage ergibt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet Reconquista Germanica nicht – im Gegensatz zur rechtsextremen Identitären Bewegung (IB). Doch schon ein Blick in die Nutzerliste des Servers von RG zeigt, dass sich dort Anhänger der Identitären tummeln. Unter ihnen war auch Martin Sellner, der zu den Köpfen der österreichischen IB zählt und diesen Server auch aktiv beworben hat.

Die Badische Zeitung ist auf weitere Discord-Server gestoßen, auf denen sich die rechte Szene organisiert. Einer davon heißt „#Infokrieg“ – Sellner selbst ist Administrator. Der Betreiber Discord verurteile Neonazismus, teilt ein Sprecher des Unternehmens mit. Und so ist es seit dem Leak Anfang Februar unruhig geworden bei den Klick-Aktivisten.

Mehrfach hat Discord den RG-Server gesperrt. Das Netzwerk habe gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen, so der Sprecher. Das Unternehmen ergreife in solchen Fällen eine Reihe von Maßnahmen – zu diesen gehöre gegebenenfalls auch das Löschen einzelner Accounts. Nikolai und seine Mitstreiter erstellen trotzdem alle paar Tage neue Server und springen von einem zum nächsten. Journalisten, darunter auch der Autor dieses Textes, nehmen sie dabei unwissentlich mit.

Trollsturm gegen die ARD floppt

Doch bei jedem Umzug gehen Mitglieder verloren. Wie stark ist RG wirklich noch? Am vergangenen Wochenende rief Max dazu auf, eine Kampagne gegen einen ARD-Film vorzubereiten. Dieser heißt „Aufbruch ins Ungewisse“, lief am Mittwoch, und handelt von einer weißen Familie, die Deutschland verlassen und nach Afrika flüchten muss. Diesmal geht es den Rechten um einen sogenannten Trollsturm: Unter dem aus dem Filmtitel bestehenden Hashtag werfen sie dem Sender bei Twitter Propaganda vor und teilen rassistische Memes.

Die Badische Zeitung hat 1150 Tweets analysiert, die während der Ausstrahlung von „Aufbruch ins Ungewisse“ am 14. Februar ab 20.15 Uhr mit dem Hashtag #AufbruchInsUngewisse veröffentlicht wurden. Gut zwei Drittel davon stammen aus dem rechten Lager. Unklar ist jedoch, wie viele der Verfasser wirklich zu RG gehören. Auffällig ist, dass diese Accounts vergleichsweise jung sind.

Twitter-Statistik
(Grafik erstellt mit Infogram)

Zwar führte der Hashtag für kurze Zeit die Twitter-Trends an, aber nach Schätzungen nutzt nur etwa eine Million der deutschen Internetnutzer Twitter. „Legt euch zwischen fünf und zehn Twitter-Konten an“, hatte „Offizier“ Max im Vorfeld von den RG-Mitgliedern gefordert. Hätten alle Besitzer der beteiligten Twitter-Konten Max’ Anweisung befolgt, würde das bedeuten: Nur rund 35 bis 70 Menschen waren am Trollsturm beteiligt. Nicht mehr also als bei einer kleinen Demonstration.

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